Es ist ein Heft!

Jetzt komme ich endlich dazu, wenigstens ein paar Worte über „Nido“ zu schreiben, das neue, junge Familienheft von Timm Klotzek. Und junge Familie bin ja selbst, insofern gehöre ich endlich mal wieder irgendwo zu einer Zielgruppe.

Nido Die Arbeits-Unterzeile des Heftes steht im Editorial als „Wir sind eine Familie, aber wir sind nicht gaga“, und dass weckt, zumindest bei mir, Begehrlichkeit, denn gaga wäre ich auch gerne mal nicht. Ich verstehe es als den Anspruch, ein Heft für Eltern zu machen, die außer Eltern auch noch das ganze andere sind, was sie immer schon waren. Denn Elternsein verändert einen ja, aber eben auch nicht komplett.

Auf den ersten Blick ist „Nido“ ein eher leises und zurückhaltendes Heft, man könnte auch sagen blass, so wie „Neon“ für mich immer ein bisschen blass war. Für „Neon“ war das immer ein Alleinstellungs-Merkmal auf einem lauten Wimmelmarkt voller Impulsware, ein schönes, tiefsinniges Blasssein (während ich das schreibe liegt im Nebenraum die neue, knallebunte „Neon“. Aber die hat wenigstens kein Foto drauf, ist also auch schön anders). Für „Nido“ heißt das natürlich, dass es ein paar Jahre danach mit dem Rückstand antritt, nicht so neu und anders zu sein. Es macht das Heft ein bisschen altmodisch, weil es auf mich eben doch wirkt, als wäre es ein „Neon“ für die, die inzwischen aus dem alten Heft herausgewachsen sind, weil sie Kinder bekommen haben. In den Händen von Timm Klotzek muss aber auch das nichts Schlechtes sein. Modern sein ist ja kein Selbstzweck (außer im Internet), und Familiengefühle sind auch nicht gerade das Neueste, was die Evolution so hergibt. Ich bin mir sicher, dass man für junge Familien ein erfolgreiches Magazin machen kann. Und wer sollte das besser können als Klotzek, der für mich einer der vielleicht drei oder vier wirklich brillanten Magazin-Macher in diesem Land ist (obwohl ich ihn nie bei der Arbeit erlebt habe. Aber die Ergebnisse sagen ja auch etwas aus).

Und deshalb überrascht es mich nicht, dass „Nido“ ein gutes Heft ist. Es ist angenehm, natürlich und ziemlich schön. Ich würde „Nido“, so wie es ist, wieder kaufen. Aber ich finde trotzdem, es ist noch nicht ganz fertig. Ich werde jetzt eine ganze Reihe von Sachen aufzählen, die mich an der ersten Ausgabe stören, und das wird einen falschen Eindruck erwecken, weil ich die 80 oder 90 Prozent des Heftes, die ich super finde nicht groß erwähne, aber wer das falsch verstehen will, der soll es eben tun.

Also: Mein erster Eindruck war, dass in „Nido“ zu viel Familie vorkommt. Ich weiß, das ist ein schwacher Vorwurf an ein Familienheft, aber die klassische Vorstellung von Vater-Mutter-Kind wird nur an zwei Stellen gebrochen, einmal, wenn Daniel Cohn-Bendit darüber redet, wie es bei den 68ern war, und einmal, als es darum geht, dass in Ghana das ganze Dorf die Kinder erzieht, nicht nur die Eltern. Bei uns zu Hause in Deutschland ist die Nido-Welt aber sehr aufgeräumt. Da sind nicht alle verheiratet, aber zusammen sind sie schon. Mir erscheint das eng gefasst. Ich glaube, Familie ist heute nicht mehr so stark an dieses Modell gebunden. Und für mich liegt da eine entscheidende Frage versteckt: Ist „Nido“ also ein Heft für Pärchen, die sich trotz der Kinder eben auch noch als Paar begreifen? Das fände ich einen gangbaren Weg, aber dafür sind zu viele Kinder im Heft. Da leidet dann das Pärchen-Ideal in realistischer Weise so, wie das Pärchen-Dasein eben unter den Kindern leidet. Kinder sind anstrengend. Und natürlich wird man momentweise dafür belohnt, aber momentweise Belohnung in der Realität ist etwas anderes als momentweiser Genuss in einem Magazin. Dann müsste mehr Belohnung rein. Mehr reine Freude am Lesen. Im Magazin lesen müsste dann mehr Pause sein von der Familie, mehr Ideal, weniger Realität.

Aber so ist „Nido“ nach meinem Verständnis gar nicht gemeint. „Familie“ heißt hier: Wir drei oder vier, bluts- und alltagsmäßig verbundene Gemeinschaft, gemeinsame Türklingel und Spuren von Knete im Teppich. So wie die schöne Kleinfamilie auf dem Cover. Und dann passiert eben, was im echten Leben auch passiert: Ich muss mir das Leben als Mehr-als-nur-Elternteil pausenlos verteidigen. Ich habe Sex trotz kleiner Kinder, mache eine Weltreise obwohl ich kleine Kinder habe, mache die schöne Städtereise am kinderfreien Wochenende und möchte, auch als Mutter oder Vater, endlich wieder arbeiten. Das ist der Verteidigungsmodus. Wegen der Familie wird in „Nido“ vor allem überlegt, ob es nicht Zeit ist, eine Immobilie zu kaufen, und da dann möglicherweise sogar ein Reihenhaus am Rande der Stadt. Und das ist, in diesem Fall wirklich nur bezogen auf meine kleine Familie, tatsächlich genau das, was wir auf keinen Fall tun wollen.

Ich würde mir ein paar mehr Dinge wünschen, die man wegen der Familie macht. Ein Baumhaus bauen, über die eigene Religiosität nachdenken oder Aquarell malen lernen. Nur um so drei Beispiele aus meinen letzten paar Monaten zu nennen, die mir heimlich richtig Freude machen. Das sind jetzt keine großartigen Beispiele, es geht nur um das Prinzip: mehr wegen, weniger trotz.

Und der dritte Punkt neben dem äußeren (Was ist eine Familie?) und inneren (Wie ist eine Familie) Familienbild von „Nido“, den ich ausbaufähig finde, ist die Gestaltung. Insgesamt mag ich das Heft (auch, weil es mich an vielen Stellen sehr an „IVY“ erinnert …), aber ich finde es an viel zu vielen Stellen unklar, was teilweise an der Textausstattung liegt. Die kleinteiligen Seiten am Anfang jedes Ressorts erschließen sich für mich viel zu langsam und aufwendig, es stehen manchmal merkwürdige Bausteine in der Gegend herum (neben dem Cohn-Bendit-Interview steht völlig uneingebunden ein kleiner Kasten, der aussagt, das C-B für Sartre gedolmetscht hat, als der Andreas Baader im Knast besuchte) und die Geschichte übers Hauskaufen ist bebildert mit einem Mädchen, das draußen spielt (was im weiten Sinne noch zur Geschichte passt, von wegen Garten), aber überschrieben mit der Headline „Unseres!“, was dann eindeutig nicht mehr zum Bild passt. Da sind ein paar Fehler eingebaut. Außerdem gibt es auch ein paar Rätsel, die nicht nötig wären. Es gibt eine Doppelseite, auf der drei Prominente gefragt werden, was sie ihren Kindern vorsingen. Die Seite heißt „Umfrage: Schlaf gut, mein Schatz“, groß zu sehen sind Fotos der Promis ohne ihre Kinder (die wollen die ja immer nicht zeigen), daneben stehen aber groß die Namen von Promi und Kindern. Das worum es geht, ist ein bisschen versteckt: Die Frage „Wassingen Sie ihren Kindern vor?“ steht erst im Vorspann, die Antwort winzig klein unter den Texten. In Wahrheit kann man also weder an Bildern noch an denwichtigsten Textbausteinen erkennen, worum es hier geht. Das sind alles nur winzige Kleinigkeiten, aber insgesamt nehmen sie dem Heft eine Menge Druck.

Und noch etwas hat mich gestört: Es ist mindestens eine Bildstrecke zu viel im Heft: Kinder mit ihrem Spielzeug, Spielzeughersteller, Kinder und Eltern in Mode (ganz großartig: Deutschlands bester Schmuckdesigner Patrick Muff mit Sohn), Kinderzimmer und die Ghana-Geschichte, die mit einer niemals enden wollenden Reihe von Gruppenfotos einfach überbeildert ist. Ein einziges der Fotos hätte es meiner Meinung nach getan (diese Geschichte hat – nebenbei – die einfach geniale und genial einfache Headline „Alle für alle“).

So, ich hoffe, das war konstruktiv. Ansonsten finde ich, wie gesagt, „Nido“ schön, gut und manchmal toll geschrieben und ich freue mich, dass es das Heft gibt. Wer, wie ich, auch in Zukunft solche Hefte lesen und kaufen möchte, der sollte sofort damit anfangen.


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